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Renate Kordons Fotoperformance Kleider aus Licht auf Basis der Regelbilder

Von Natalie Lettner

Ich bin alleine. Ich bin geborgen. Sicher.
Unbeobachtet. Fasziniert. Völlig in mir und
im Tun. Bin mit mir allein und stehe mir doch
gegenüber. Bin zugleich Modell und hinter
der Kamera. Beobachte mich und werde von
mir beobachtet. Ein vollkommen
unschuldiges In-Besitznehmen des eigenen
Körpers. Farbiges Licht schmiegt sich an wie
ungewebter Stoff. Die Kleider passen genau,
wenn der Körper tanzt.

Renate Kordon


Ein Selbstversuch, der eine faszinierende Metamorphose auslöst: Die Menstruation der Künstlerin bringt bunte Regelmonster hervor, die sich zu Kleidern aus Licht verwandeln, in die sich wiederum die Künstlerin hüllt – ein Kreis schließt sich, eine mehrstufige Transformation hat stattgefunden. Dabei spielt Renate Kordon mit mehreren Medien: Aquarell, Diaprojektion, Performance, Fotografie. Die Prints der Fotohof Edition – ein weiterer Transformationsschritt – zeigen eine Auswahl dieser Verwandlungen aus Blut, Farbe, Form und Licht.

Doch zunächst zum Ausgangspunkt. Der künstlerische Prozess beginnt mit Regelmonstern. Regelmonster – eigentlich ein Widerspruch in sich. Monster halten sich an keine Regeln, sie verletzen jede Ordnung, durchbrechen jedes Raster, sprengen Kategorien: Sie sind Hybride zwischen Mensch, Tier und Pflanze, zwischen den Geschlechtern, manchmal sogar – wie etwa bei Hieronymus Bosch – zwischen Organischem und Anorganischem. Monster sind der Inbegriff des Regelverletzenden, Ambiguen und Ambivalenten.

Bei Renate Kordon geht es jedoch um eine besondere „Regel“, die bei ihr auch ganz besondere Monster gebiert. Es ist eine Regel, die in der patriarchalen Welt eigentlich selbst als Regelverstoß gedeutet wird: die weibliche Menstruation, die in den meisten Gesellschaften und Religionen als „unrein“ gilt und tabuisiert wird – ein Faktum, das die Künstlerin damals zunehmend verärgert. Sie ist knapp unter dreißig, als sie sich intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen beginnt.

Die zweite Frauenbewegung der 1970er Jahre hat mittlerweile auch den deutschsprachigen Raum erfasst. Renate Kordon liest Die weise Wunde Menstruation von Penelope Shuttle und Peter Redgrove, 1980 erstmals auf Deutsch erschienen (engl. Ausgabe 1978), heute ein (vergriffener) feministischer Klassiker. Es ist damals eines der wenigen Bücher, das sich mit dem weiblichen Zyklus auseinandersetzt und diesen nicht wie eine Krankheit behandelt. Kordon erlebt die Lektüre als zutiefst befreiend. Und sie weiß, dass auch sie, mit ihren spezifischen künstlerischen Mitteln, den zahlreichen negativen Fantasien und Mythen etwas Neues, Anderes entgegensetzen will. Das Thema bekommt für sie eine unaufschiebbare Dringlichkeit, nicht nur aus gesellschaftspolitisch-feministischen, sondern auch aus ganz persönlichen Gründen. Die Regel erlebt sie als ihre kreativste Zeit. Ein spannendes Phänomen – höchste Zeit, ihm auf den Grund zu gehen.

Über zwei Jahre hinweg, von 1980 bis 1982, erforscht Renate Kordon, was die Menstruation mit ihrem Körper und ihrer Stimmung macht. Die wahrgenommenen physischen und psychischen Zustände übersetzt sie in kleine bunte Aquarelle im A5-Format – „mit einer ganz besonderen lichtbeständigen Tinte, bei der sich die Farben nicht verlieren“. Diese Tinte hat Kordon zufällig in Holland entdeckt: „Die gab es nur dort und war fantastisch!“ Papier und Tinte liegen immer bereit, damit sie möglichst spontan auf intensiv gespürte Momente reagieren kann.

Auf diese Weise entstehen über zweihundert Bilder. Erst durch diesen Prozess werden der Künstlerin die unglaubliche Vielfalt und Variationsbreite der sich aus ihrem Unbewussten und ihrem Körper herausschälenden Formen und Farben klar: „Das hat bei mir immer gut funktioniert, dass ich über die Bilder mehr verstanden habe.“ – Kunst als Erkenntnisinstrument. Die Menstruation erhält durch die künstlerische Transformation auch eine neue Qualität: „Das hat etwas Leichtes bekommen! Ist lebbarer geworden.“ Und tatsächlich: Diese kleinen Aquarelle sind von einer Heiterkeit und zugleich tiefen Verletzlichkeit, die dem sonstigen Diskurs über die Menstruation meist abgehen – bis heute. Renate Kordon kreiert bunte Geschöpfe, Hybride und Zauberwesen. Ihre Monster sind nicht böse und dämonisch, sondern lustig, rührend, fantastisch, kindlich, kraftvoll, verschlingend, raumgreifend, explosiv oder systemsprengend – je nach Tagesverfassung.

Es entstehen Erdbeertannenwesen, Tentakelmonster mit Fransenhänden, Wolkentiere mit halluzinogenen Spiralaugen, Drachenkatzen mit prallen Brüsten, Eierstockkreaturen und so weiter und so fort. Das Menstruationsblut, aus dem sie sich schöpfen, bringt das gesamte Farbspektrum zum Leuchten. Rot spielt zwar eine zentrale Rolle, aber auch alle anderen Primärfarben sind dominant, mal vermischen sie sich, mal werden sie transparent oder verwandeln sich in zarte Rosa-, Hellblau- oder Orangetöne.

Manche Blätter evozieren Ver- oder Entpuppungsvorgänge, andere explosive Vulkanausbrüche, die nächsten fantastische ozeanische Unterwelten. Manche Formen treten immer wieder auf: schneckenartige Spiralen, die zugleich Gedärme und Schlangen sind; zackige Drachenflügel, die auch an Beckenknochen und Eierstöcke erinnern; Feuermünder, Tentakel, Quasten, Quallen, Einzeller, Vegetabiles. Kurz: Kordons Forschungsexpedition in den eigenen Körper bringt wie eine Raumfahrt in ferne Galaxien einen ganz unbekannten Kosmos zum Vorschein. Mehr noch: Die Künstlerin erweckt alle diese Wesen, die zugleich ihre Selbstporträts sind, durch ihren wohlwollenden und neugierigen Blick überhaupt erst zum Leben, beseelt sie und erlaubt ihnen zu existieren. In ihrem Atelier hängt sie die Bilder wie tibetische Gebetsfahnen auf eine Wäscheleine: Sie lebt und arbeitet somit tagein tagaus umgeben von diesem wunderkammerähnlichen Panoptikum.

Renate Kordon hat den Zyklus in Wien begonnen. Als sie im Wintersemester 1980/81 ein Stipendium für Animation und Video an der ENSAD (Ècole Nationale Supérieure des Arts Décoratifs) erhält, setzt sie die Arbeit daran fort. Mehr noch, sie plant eine weitere Metamorphose dieser bildgewordenen Körpererfahrungen. Die Regelbilder, die aus ihrem Körper entstanden sind, sollen nun auf ihren Körper zurückkehren, rückprojiziert werden. Nachdem sich die Regelmonster quasi verselbständigt haben, holt sie die Künstlerin in einem weiteren Transformationsschritt zurück, eignet sie sich (wieder) an. Sie beschließt, in die Bilder, in diese von ihr bzw. ihrem Körper erschaffenen Wesen hineinzuschlüpfen, sie auf ihrer Haut zu spüren, sich von ihnen umspielen zu lassen, sie zu tragen wie Kostüme: Kleider aus Licht.

Für den Fotozyklus wählt sie etwa dreißig Arbeiten aus den zweihundert kleinen Aquarellen aus, fotografiert sie ab und lässt Dias produzieren. Sie baut einen Projektor auf, wirft die Bilder an die Wand. Auf ein Stativ montiert sie ihre analoge Spiegelreflexkamera. Nun bewegt sie sich nackt zwischen Projektor, Leinwand und Kamera. Sobald sie den Selbstauslöser betätigt, bleiben ihr zehn Sekunden Zeit, um die richtige Position zu finden, sich das jeweilige Kleid aus Licht anzuziehen, sich in die Farbe hineinzufühlen: „Ich bewegte mich in die Projektion hinein. Das Bild umhüllte meinen Körper und bildete sich perfekt auf meiner Haut ab. Die Farben waren wunderschön, ich fühlte mich in die richtigen Positionen ein.“ Die Künstlerin reagiert auf die Diaprojektionen an der Wand, tritt in Kommunikation mit ihnen, nimmt Resonanzen wahr. Die kleinen Fabelwesen der Aquarelle verwandeln sich damit in ausdrucksstarke Kleidungsstücke, die Unsichtbares visualisieren. Sie kehren das, was sich im Inneren des weiblichen Körpers tut, nach außen – „Body Awareness“ à la Renate Kordon, um einen Begriff von Maria Lassnig zu bemühen, deren Trickfilmklasse Kordon nach ihrem Paris-Aufenthalt für ein Jahr besucht hat.

Je nach „Kleid“ positioniert die Künstlerin ihren Körper neu, probiert verschiedene Haltungen durch. Aus dem vielfüßigen Tentakeltier eines Aquarells wird ein schwingendes Röckchen, das die Körpermitte der Künstlerin dynamisiert. Die um ein außerirdisches Wesen herumschwirrenden Elemente verwandeln sich in der Projektion in gelbe Riesenhandschuhe, in Symbole weiblichen Empowerments. Eine Stachelqualle wird zum Sternenkleid, das sich ganz geschmeidig an Kordons Körper anschmiegt und die Künstlerin in eine mythische Figur verwandelt, eine Verwandte der ägyptischen Nachtgöttin Nut, die am Abend die Sonne verschlingt und am nächsten Morgen wieder aus ihrem Schoß gebiert. Ein Schlangenwesen transformiert sich auf Kordons Körper zu einem einengenden, aber auch haltgebenden Korsett. Gleichzeitig hat dieses Korsett etwas Widerständiges: Evas Schlange aus dem Paradies scheint sich um den weiblichen Körper zu winden, während ganz unten zwei kecke Arabesken herausflattern und der Corsage ihre Strenge nehmen.

Mit der Serie der Kleider aus Licht entsteht somit ein eigenständiger und unabhängiger Zyklus, eine „bildnerische Reflexion zweiten Grades“, wie Renate Kordon selbst meint. Durch die Rückführung auf den Körper, aus dem die Regelbilder entstanden sind, bekommen die Kleider aus Licht eine raumgreifende Dimension. Projiziert auf den Körper werden die wundersamen Wesen der Regelbilder nicht nur zu Kleidern, sondern zu Energiezuständen. Und genau diese energetischen Verfasstheiten sind ja Ausgangspunkt der Regelbilder. Der Kreis schließt sich also: ein „Regelzyklus“ im wahrsten Sinne des Wortes. Ein körperlicher Zustand ist Bild geworden, dieses Bild wird in einem performativen Akt zurück auf den Körper projiziert. Zweimal bedient sich die Künstlerin dabei der Fotografie als dazwischengeschaltetem Medium, als Werkzeug, um Transformationen zu provozieren: ein erstes Mal, indem sie die Aquarelle fotografiert und daraus Dias fertigen lässt. Ein zweites Mal, indem sie die Diaprojektionen auf ihrem Körper fotografiert.

Beide Zyklen, die Regelbilder und die Kleider aus Licht, zeichnen sich durch den für Renate Kordon typischen spielerischen Zugang aus. Durch die künstlerische Aneignung verbindet sich bei ihr die feministische Agenda mit Witz und Humor – eine seltene Kombination, wieder etwas, das Kordon mit Maria Lassnig teilt. Renate Kordon gelingt es, den weiblichen Körper auf subversive Weise zu zelebrieren, ihn sich durch Transformationen und den eigenen weiblichen Blick anzueignen und einer jahrtausendealten patriarchalen Ikonografie zu entziehen.


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