Dismantling Dimensions
Filminstallation im Schauraum, di:´angewandte, Quartier21, MuseumsQuartier, Wien, 2018
Der Schauraum wirkt als Behältnis für das aufgesplitterte, vervielfachte Filmbild, das sich von einem Punkt aus gesehen zur Einheit fügt. Die Animation Trickptychon, in Papierschnitttechnik im Einzelbild- verfahren hergestellt, ergibt als Mehrfachprojektion und in der Überlappung über Ecken und Flächen hinweg neue Bild-Kombinationen, die dem Raum eingeschrieben sind und ihn zugleich auflösen.
Am Höhlenausgang des Digitalen.
Gedanken zu den Arbeiten von Renate Kordon
Medien, analoge wie digitale, also insgesamt technische, bestimmen laut Friedrich Kittler unsere Lage; ob es die magische Zerstückelung der optischen Wahrnehmung durch den Film, das elektronische Strömen zwischen entgegengesetzt geladenen Polen, das Aufzeichnen und Bearbeiten von Tönen und Geräusch, oder zuletzt das Codieren von Information in ihre basalsten Bestandteile „on/off“ sei, es scheint gegenüber dieser Totalität kein Anderes, kein Draußen zu geben. Dabei ist zu entdecken, daß trotz immer weiter fortschreitender medialer Diskretion von den 24 Bildern pro Sekunde, die uns Bewegung im Film suggerieren, bis zum digitalen Takt von drei Milliarden Operationen in einer einzigen Sekunde in der letzten Rechnergeneration (die der menschlichen Wahrnehmung schon so fern liegen, daß von Unterschreiten nicht mehr als nur metaphorisch die Rede sein kann) dennoch der Fluß der Linie, die Zeichnung und ihre Veränderung durch den Trickfilm, die Animation des Figurativen ein Drittes, Transzendierendes anzudeuten scheinen. Die Künstlerin Renate Kordon arbeitet seit langer Zeit an dieser Schnittstelle künstlerischer und medialer Ausdrucksformen. Die Bandbreite ihres Schaffens reicht dabei von der Zeichnung über animierte Trickfilme und Installationen bis hin zu großen, in die Landschaft integrierten architekturalen Arbeiten wie „Windspiel Spielfeld“ (1989/91) oder „Jahreszeitensonnenuhr“ in Schottwien am Semmering (2009).
In einem medialen Geviert aus elektrischem Licht und Schatten, White Cube und analoger Benutzeroberfläche siedelt Renate Kordon ihre Trickfilme und Installationen an; sie nutzt die Medien ihrer Kunst auf eine besondere, metareflexive Weise, indem sie, ausgehend von zeichnerischen Konstanten wie der Linie und einfachen Formen wie Quadrat oder Umrißfigur, diese den wechselnden Transformationen der filmischen und digitalen Animation oder der skulpturalen Realisation im Raum aussetzt. Anders als bei der klassischen Animation, bei der wie beim Film das Einzelbild in der Wahrnehmung einer vorgetäuschten Bewegung verschwindet, behalten bei Renate Kordon die einzelnen Motive und Elemente aber ein ausgesprochenes Eigenleben.
Dabei sind die animierten Arbeiten inspirierende Beispiele der Möglichkeit, nicht-imaginäre Wahrnehmungen dem imaginären Medium Film einzuschreiben, da die ständigen Veränderungen auf die Linie als Grundelement bezogen bleiben und sich damit der mit dem Imaginären des Films technisch verbundenen Identifikation widersetzen. Der imaginäre Spiegel, den man mit Jacques Lacan in der Photographie und im Film entdeckt, wird ersetzt durch ein Fenster, in dessen Feld sich ein ganzer Kosmos zeigen kann. Seien es die Transformationen von figurativen Chiffren, die am Band der Linie sich ablösen wie in einer Traumwelt, die ja nach Freud nichts anderes als ein Rebus, ein Bilderrätsel ist, so in der Arbeit „Passepartout“ von 1983, wo vom Zeichentisch und seinem weißen Quadrat ausgehend immer neue Räume und Szenen entstehen, seien es kosmische Visionen wie in „Echo“, 1988, wo die menschliche Figur, beinahe wie in der mystischen Schau des Mittelalters als Bezugspunkt in Kontakt zu den Ereignissen von Sternentstehung, Kometenlauf und kosmischer Ordnung steht. Daß dies in diesem Fall unter anderem noch mit dem tellurischen Material der Tonerde verbunden ist, die für diese Animation Verwendung fand, fügt dem ganzen noch einen tieferen, dem Blick eigentlich verborgenen Aspekt hinzu. Damit rückt Renate Kordon den terminus technicus Animation in seinen alten Bedeutungskontext ein: Die Belebung des Technisch-medialen durch seine Beseelung.
In einer anderen Arbeit, der Installation „Trickptychon“ von 1987 unternimmt Renate Kordon eine Reflexion des Filmapparates als solchem; die komplizierte wechselseitige „Beleuchtung“ verschiedener Filmprojektoren versetzt diese selbst ins Zentrum der Installation und läßt im Technischen der Bildgebung ohne jede imaginäre Projektion das „Unbewußte der Maschinen“ (Henning Schmidgen) erscheinen. Im dichten Geflecht aus Lichteffekten, Figuration, Gerätesound und Raum treten die Filmprojektoren selbst als Material der Kunst zutage.
Wir befinden uns, mit Luhmann gesprochen, vielleicht schon am Höhlenausgang des Digitalen, weshalb solche Transzendierungen des Analogen heute noch einmal mehr und eindringlicher wirken. Der mit jeder Art von Aufnahme und Bearbeitung verbundene Zeitaspekt ist eine weitere Konstante der künstlerischen Arbeit Renate Kordons. Durch die vielfältigen Effekte, die ihre Animationen und Skulpturen auslösen, gelingt es ihr, vordergründig „reale“ Vorgänge zu „entzeitlichen“ und damit eine neue Wahrnehmungsebene zu schaffen. Die Animation/Installation wird dadurch zum Medium eines ins Raum-Zeitliche erweiterten Szenarios, es entstehen „filmische Evironments / expanded movies“ (R. Kordon).
Dies trifft auch auf die vielfältigen weiteren Arbeiten der Künstlerin zu. Die Linie als Generator, wie sie mittlerweile auch die wissenschaftsgeschichtliche Forschung als eine der Grundlagen der Geometrie und damit einer neuen, postdigitalen Materialität und Konstruktivität erkennt, ist in vielfacher Weise in das Werk Kordons verflochten. Daß damit ein genuin zeichnerischer Ansatz zum Ausgangspunkt der Gestaltung wird, demonstrieren nachdrücklich die „Tanzplätze für Ariadne“, 2016, eine multimediale Präsentation/Publikation, in der der „Rote Faden“, der Ariadnefaden als Gestaltungselement des Räumlichen dient. Der damit angedeutete Bezug zum Mythos des Labyrinthes erinnert an die figurativen Qualitäten des Raumes, die, wie in der Erzählung vom Minotauros oder in Stanley Kubricks Film „Shining“, durchaus bedrohliche Aspekte von Architektur sein können. "Die Linie als Entscheidung", sagt Renate Kordon darüber.
Die Künstlerin selbst bringt den Begriff „dismantling dimensions“ ins Spiel, der vor dem Hintergrund ihrer Arbeiten bedeuten könnte, die scheinbare Multidimensionalität medialer Präsentationen auf die gestalterische Konstruktivität der weißen Fläche als Generator zurückzuführen, und dies im doppelten Sinne von dismantling als Rückbezug und Rückbau.