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Tanzplätze für Ariadne
Aquarelle, Serie von ca. 90 Blättern, 22 x 24 cm, 1982-84

Titel der Sequenzen in einzelnen Heften: Labyrinthe, Weibsbilder, Frauenzimmer, At the Beginning of the End, Schneeweißchen und Rosenrot, The way to make it is to be, Der Zahn der Zeit und oder Sirenen, Mysterien, Zustände, Märchen und andere wahre Begebenheiten.


Behausungen für Gedanken...

Die Serie Tanzplätze für Ariadne ist zur Behausung für Gedanken über meine weibliche Beziehung zur Architektur geworden. Unter anderem ein Prozess, eine Imagination der Selbstfindung. Die fantasievolle Erschaffung von Orten der freien Bewegung – geistig und körperlich. Das Denkgebäude meiner Kindheit, das mir großteils Aufgezwungene, das ich damit zu verlassen versucht habe.
Tanzen - etwas in Besitz nehmen, sich eigenen Raum zu schaffen, auch sich zu geben, sich einzufügen in den kosmischen Reigen. Es hat etwas sehr Befreiendes, Erfüllendes.




Renate Kordon im Gespräch mit Diane Shooman, in: Tanzplätze für Ariadne, Schlebrügge Editor, 2016...

DS: Renate, wer ist Ariadne für dich?

RK: Ariadne ist eine wichtige Frauenfigur, sie verkörpert eine weibliche Seite innerhalb der griechischen Mythologie, die Weisheit und den Instinkt. Ariadne kannte das Geheimnis des Labyrinths von Kreta und hatte die Idee, dem Helden Theseus ein Fadenknäuel mitzugeben, den er auf seinem Weg abspulte, um den Minotaurus in der Tiefe des Labyrinths zu töten und entlang des Fadens wieder herauszufinden. Das ist der berühmte rote Faden, der sich überall durchzieht. In diesem Zusammenhang hat mich auch das Thema des Labyrinths länger fasziniert und beschäftigt, weil es das Zurückkommen zum Ursprung, zur Wahrheit und das Vordringen in die eigenen Untiefen zu bedeuten scheint. Im Zentrum des Labyrinths enthüllen sich Erkenntnis und Wahrheit. Die Schwierigkeit liegt darin, aus dem Labyrinth herauszukommen und mit der Wahrheit, die man dort erfahren hat, wieder in die Welt zu gehen.

DS: Ariadne war offenbar auch sehr motiviert, von Zuhause wegzukommen. Sie hat mit Theseus eine Art Tauschgeschäft gemacht: „Ich gebe dir den roten Faden zum Labyrinth, du tötest den blutrünstigen Minotaurus und befreist damit die Jugend Athens, dann fliehen wir von hier und du machst mich zu deiner Frau.“ Theseus und Ariadne landeten auf der Insel Naxos. In Ariadnes Sehnsucht nach ewiger Liebe und nach einer fixen Verbindung war es aber vielleicht keine so gute Idee, sich in einen Helden zu verlieben oder in einen, der gerade in der Heldenphase seines Lebens verfangen war. Helden sind darauf fixiert, Helden zu sein und Heldentaten zu begehen. Bei Tagesanbruch ist Theseus schnurstracks zur nächsten großen Tat weitergesegelt.

RK: An der Geschichte hat mich ursprünglich gestört, dass Ariadne von Theseus auf Naxos verlassen wurde. Später aber erfuhr ich, dass ihr ein Leben an der Seite des Gottes Dionysos bestimmt war.

DS: Als Ariadne erwachte und entdeckte, dass Theseus sie verlassen hatte, war sie verzweifelt. Dionysos hörte sie und war von ihrem herzzerreißenden Weinen gerührt. Sie verliebten sich und haben geheiratet. Es war ihm egal, dass Ariadne keine „Jungfrau“ war.
In der extrem engen Gesellschaftsmoral der antiken Kultur, was Frauen betraf, war das ein literarisches Wagnis. Aber vielleicht spiegelt es eine andere Definition des „Jungfrau-Seins“ wider, und zwar die des autonomen „Bei-Sich-Seins“. Ariadnes Vater, König Minos, war Tyrann in seiner Familie sowie im Land Kreta. Es ist Ariadne gelungen, der Doppel-Tyrannei zu entkommen, um ein eigenes Leben zu führen. Und mit Dionysos war es sicherlich fröhlicher, als es mit dem Kämpfer Theseus gewesen wäre.
Mit Dionysos wurde gesungen, gefeiert und getanzt, aber ganz anders als bei Bacchus, der römischen Interpretation des Dionysos. Mit Bacchus wurde maßlos getrunken, um außer sich zu geraten. Für Dionysos ging es darum, etwas zu trinken und zu tanzen, um zu einem offeneren Zustand zu gelangen, sich einer anderen Ebene des Bewusstseins zu öffnen, nämlich dem Göttlichen. Das führt mich zur nächsten Frage: Was ist das Tanzen für dich? Warum Tanzplätze für Ariadne?

RK: Tanzen bedeutet für mich, etwas in Besitz zu nehmen, sich einen eigenen Raum zu schaffen, auch sich zu geben, sich auch einzufügen in den kosmischen Reigen. Es hat etwas sehr Befreiendes, Erfüllendes, auch rituelles Tanzen, Tanzen überhaupt.
Diese Serie von Aquarellen war für mich ein Abschließen, eine Möglichkeit, all meine Architekturerfahrungen zu verarbeiten. Meine Eltern waren beide Architekten, und ich habe auch einige Semester Architektur studiert. Meine Aquarelle verkörpern Architekturen, die zwar scheinbar funktionieren, tatsächlich aber sehr unwahrscheinlich sind, weil sie meist verkehrt herum gebaut und gedacht sind, vom Statischen her. Was ist aber nun richtig, was ist verkehrt? Was ist unsere Wirklichkeit? Es hat mich auch fasziniert, die Architektur sehr, sehr weit zu treiben, sie quasi ad absurdum zu führen und einem weiblichen Körper gegenüberzustellen.

DS: Diese Bilder sind alles andere als statisch. Die Figur und die labyrinthischen Räume regen sich gegenseitig zu fliegender Akrobatik, zu neuen Hochflügen der Fantasie, zu verwandelnder Formfindung an. Sie scheinen sich gegenseitig zu bewegen. Was haben sie für dich bewegt?

RK: Unter anderem war es für mich ein Prozess, eine Imagination der Selbstfindung. Die fantasievolle Erschaffung von Orten der freien Bewegung – geistig und körperlich: Orte, um das eigene Innere auszuloten, Irrwege zu verfolgen, Plätze der Ruhe zu finden in den unendlichen Möglichkeiten des offenen Raums, die eigenen Bedürfnisse auszuloten.

DS: Die Figur und die Räume versuchen, sich einander anzupassen, mit sehr lustigen Nebenwirkungen, die beide auch dehnen und erweitern. Eigentlich tanzen sie miteinander.
Die klassische Architektur nahm die Proportionen idealisierter Menschenkörper als Maßstab. Somit bekommen wir das Gefühl, vor oder in einem Ausbau oder einer Erweiterung von uns selbst zu stehen, in einer inspirierenden Verkörperung, die unser eigenes, endlos emporsteigendes Potential weckt.
Mit den Formen der Säulen wurden die Tempel auch jeweils unterschieden, aber nicht nach dem Geschlecht der Göttin oder des Gottes, sondern nach deren oder dessen Funktion. Dionysos war übrigens die einzige männliche Gottheit, die auch für die Landwirtschaft und überhaupt für die Natur zuständig war und für die es auch Tempel mit weiblichen Säulen gibt. Tempel für Athene, die Göttin der Weisheit, wurden ihrer Funktion als Kriegsgöttin zu Ehren mit männlichen Säulen und in ihrer Funktion als Schützerin der Stadt mit weiblichen Säulen verziert. Karyatiden und Atlanten sind eigentlich Interpretationen bzw. Festlegungen der Geschlechtszuschreibung der Säulen. Es ist irgendwie amüsant zu sehen, wie mühelos die Karyatiden ihre Last tragen, während sich die Atlanten sehr anstrengen müssen.

RK: Möglicherweise, weil die Atlanten als echte Bauteile sichtbar gemacht funktionieren sollen, während die Karyatiden trotz ihrer tragenden Funktion gerne nur dekorativ dastehend gesehen werden.
Es war für mich vielleicht auch ein ganzes Denkgebäude, das ich da zu verlassen versucht habe, das Denkgebäude meiner Kindheit, das mir großteils Aufgezwungene. Auch bin ich von meinen Eltern sehr zum Architekturstudium hin gedrängt worden, habe Architektur studiert und mich dann doch anders entschieden. Ich wollte immer Bilder für innere Prozesse finden, nicht Mauern und Räume um und für Menschen bauen, Bilder finden für das, was unsichtbar geschieht zwischen Menschen und in mir. In diesem Sinn ist die Serie Tanzplätze für Ariadne auch zur Behausung für all diese Gedanken über meine weibliche Beziehung zur Architektur geworden. Die Frau in diesen Bildern ist noch ziemlich einsam, aber es macht ihr nichts aus.
DS: Nachdem Ariadne Dionysos geheiratet hatte, wurde sie berufstätig, und zwar als eine Art Lebensreiseführerin. Sie bekam die Aufgabe, junge Mädchen zu Persephone, der Königin der Unterwelt, hinzubegleiten und sie als Erwachsene wieder zur Erde zurückzuführen.
Diese räumlichen Geschichten – die Reise zur Unterwelt und zurück und der rote Faden, der aus dem Labyrinth führt – sind für mich Metaphern für die Kunst. Wenn wir in die Kunst hineingezogen werden, kommen wir mit einem veränderten Bewusstsein wieder heraus. Und so war die Kunst auch immer dein roter Faden.

RK: Es ist wichtig für mich, dass Kunst sich zu unsichtbaren Dimensionen, zum Geheimnis öffnet. Es gibt in dieser Ariadne-Serie Bilder, wo zum Beispiel die Nabelschnur am Boden zu einem Labyrinth gelegt ist oder die Frau ihren Kopf in die Perspektive zieht, an den eigenen Haaren. Wo also die Figur selbst noch in den Raum eingreift und ihn und sich räumlich verändert. Es ist interessant, dass gegen Ende der Serie die Frau immer unsichtbarer wird, zuerst in einem Glaskasten, dann in einer Art Kokon, und die letzten Blätter kommen ganz ohne Person aus, nur mehr abstrakte Formen bleiben, eiförmige Partikel – irgendwo. Damit war diese Serie dann abgeschlossen, der Gegensatz aufgelöst.

DS: Wann hast du Tanzplätze für Ariadne gemacht?

RK: In den Jahren 1982 und 1983/84, nach meinem Studienaufenthalt in Paris. Ich habe mich in Paris als Künstlerin wohlgefühlt, meine Weiblichkeit sehr annehmen können. Auch meine intensive Arbeit mit Trickfilm hat in Paris begonnen, mit Hors d‘œuvre. Es kam Bewegung, Animation in meine Zeichnungen, und es war sehr faszinierend, dass die Zeichnungen selbst lebendig wurden. Auch in den Tanzplätzen für Ariadne ist sehr viel Bewegung zu spüren, und ich habe schon daran gedacht, die in den Bildern angedeuteten Transformationen in einen Trickfilm zu übertragen.




Otto Kapfinger: Entfesselung des Labyrinths, in: Renate Kordon, Tanzplätze für Ariadne, Schlebrügge Editor, 2016 ...

Die Stiegeneskapaden haben ihre Häuser abgeschüttelt, besteigen die Luft, durchqueren die Atmosphäre, überspringen die Kanten und versinken ins Innere.

Plattformen schnellen zu den Wolken wie Wursträder vom rotierenden Messer. Himmelsleitern verbinden die teleskopartig auseinandergeschobenen Kartonscheiben. Die Sirenen kreiseln im Zykloidenwalzer: ein Spitzentanz auf dem Hochseil über den Traumresten aus dem Steinbaukasten.

Stufenpyramiden meditieren über ihre ausweglosen Umstülpungen.

Eine Sphinx entlässt ungezogene Säulenordnungen, begleitet von rollenden Sternen und dreidimensionalen Scherenschnitten.

Am Rand der blauen Kuppel fliegen die Enden der Architektur auseinander, aus hohen Postamenten schrauben sich schwerelose Körperspiralen.

Trichter ohne Löcher, Scheintüren im Relief zu nie besiedelten Grabkammern, die Reste der Baukunstgrammatik fügen sich zu archaisch-surrealen Tableaus.

Eine Archäologie des Zufalls stapelt zertrümmerte Friese, Säulentrommeln und Architrave zu unlogischen Rekonstruktionen, auf dünne Stangen gespießt.

Bogen und Säule begleiten die rote Frau, Raster und Würfel die weiße Frau, Rundtempel, Arkade und Reeling die Haarfrau.

Himmel, Erde, Wasser und Horizont sind das Reich der Fluchtpunktfrau.

Die Mauern des Labyrinths verlieren ihre Substanz und beugen sich dem Geheimnis. Ariadnes Faden, die Weisheit des Rituals, befreit sich von der Kunst des Baumeisters, überwindet die äußere Hülle aus versteinerter Erinnerung.

Der Tempel gibt seinen Heiligenschein zurück und entpuppt sich als Abbild des Mythos der Trennung von Himmel, Wasser und Erde.

Treppen entblößen die Zähne, Mosaike legen sich in Vorhangfalten, Voluten entrollen ihre Nabelschnüre.

Perspektivische Sackgassen vermessen den leeren Raum, die Grube der Fallgesetze, diesmal ohne das Netz physikalischer Sprachregeln.

Ariadne leiht den Tanzenden ein gedrehtes Seil zur Choreographie des Fruchtbarkeitsreigens.




Kate Howlett-Jones: Frauenzimmer und Weibsbilder, zu Renate Kordons Ariadne Zeichnungen...

Minos beschloss zu entfernen den Schimpf
des gemeinsamen Lagers
Und in verschlungenem Bau
und dunklem Versteck zu verbergen.
Daedalos, rühmlich bekannt durch Geschick
in den bildenden Künsten,
Schafft das Werk.
Merkmale verwirrt er und führt in die Irre
Täuschend den Blick durch die Zahl
vielfältig gewundener Wege.

Ovid, Metamorphosen 1

Alle Dinge wären sichtbar verbunden, wenn man mit einem einzigen Blick die Spuren eines Ariadne-Fadens in seiner Gesamtheit entdecken könnte, der Gedanken in ihr eigenes Labyrinth führt.

Georges Bataille 2

In ihren frühen Dreißigern hat Renate Kordon eine Serie von Ariadne-Zeichnungen geschaffen – Bilder von phantastischen, unbändigen, tanzenden, raumgreifend schwebenden Frauen. Flügel und Flossen von Meerjungfrauen entsprießen ihren Körpern, während ihre Haarlocken, die Schwerkraft verweigernd, sich im und über den Raum ausbreiten und fleischige Fäden in weichen Windungen sich ihren Körpern entschlängeln.

Diese Ariadnen sind nicht von Labyrinthen umgeben, vielmehr von Irrgärten aus klassischen Tempeln, geometrischen, Escher-artigen Architekturen: Säulen, Kisten, unbegehbare Treppen, Plätze, Dreiecke, aufgestapelte Bögen, die nach dem Himmel greifen, Giebel und gepflasterte Böden, die sich zum Horizont hin ausdehnen. Diese Frauen finden ihren Weg in einem unergründlichen, männlich konstruierten Raum, „erfühlen“ sich gleichsam ihren Weg. Doch nicht Eingrenzung und Beschränkungen sind hier Thema, vielmehr ein Freudenfest des Instinkts, des Entrinnens und eine tiefe instinktive Weisheit, die den Irrgarten transzendiert.

In ihrem Essay Architectureproduction merkt Beatriz Colomina an, dass „die griechische Sage darauf besteht, dass Dädalus der erste Architekt war, was aber wohl nicht stimmen kann: Er erbaute zwar das Labyrinth von Kreta, verstand aber nie dessen Konstruktion.[...] Stattdessen kann man sagen, dass Ariadne das erste Werk von Architektur schuf, da sie es war, die Theseus den Fadenknäuel gab, mit dessen Hilfe er den Weg aus dem Labyrinth herausfand, nachdem er den Minotaurus getötet hatte. Somit war Ariadne diejenige, die das Labyrinth interpretierte, obwohl sie es nicht erbaut hatte; und das ist Architektur in der modernen Bedeutung des Begriffs.“3 Daraus folgt, dass Architektur, im Gegensatz zum Bauen, ein interpretierender Vorgang ist, der sich vom funktionellen Vorgang der Bauausführung unterscheidet. Indem sie ihren roten Faden benützt, um das Labyrinth zu lesen, enthüllt Ariadne das Prinzip seiner Gestalt, seiner Fundamente und entwirrt den Mechanismus seiner Konzeption. Es ist tatsächlich Ariadne, die das Labyrinth begreift und bezwingt: Theseus ist nur ihr Werkzeug. Weit davon entfernt, ein Opfer der Geschichte zu sein, ist es Ariadne, die mit ihrer Intuition und Imagination triumphierend daraus hervorgeht.

In Renate Kordons Zeichnungen bietet uns der rote Faden der Ariadne auch einen Fluchtweg von der zweiten Dimension in die dritte, die vierte und in weitere Dimensionen. Wenn wir uns gestatten, uns ihrem spielerischen Fluidum, ihrer Bewegung und Energie hinzugeben, dann werden diese uns zur Demontage der Dimension von Raum und Zeit führen, die sich durch ihr gesamtes Werk zieht. Kordons Arbeiten werfen wiederholt räumliche und zeitliche Grenzziehungen durcheinander und lösen sie auf.

In Trickptychon (Secession, Wien,1987) durchbricht eine strahlenförmig dreigeteilte Projektion von Himmelskörpern in ständiger, endloser Bewegung die Grenzen, die unser Verständnis davon, wo Zeit endet und Raum beginnt, beschränken wollen. Ebenso dehnt und lockert ihre großmaßstäbliche Installation in der Ortschaft Schottwien in Niederösterreich (2008) das Vergehen von Zeit auf, indem sie eine Autobahnbrücke in eine riesige Sonnenuhr verwandelte, deren Schatten entlang der Hauptstraße unter dieser Brücke auf Kreise bunter Straßenbemalung geworfen wird. Die Autobahnbrücke, dafür gebaut, modernes Leben zu beschleunigen, wird zu einem Anker für den Moment und den Raum und für die Gelassenheit, die damit aufkommt, obwohl Autos darüber hinwegbrausen.

Die Ariadne-Zeichnungen verschieben und verzerren ständig die Perspektive, indem sie Wege in die Ewigkeit generieren und auf diese Weise dazu einladen, den engen Grenzen der philosophischen Deutung zu entkommen.

Renate Kordon wurde zur Architektin ausgebildet. Sowohl ihre Affinität als auch ihre Unzufriedenheit der Architektur gegenüber kann in vielen ihrer Arbeiten und nicht zuletzt hier erkannt werden. Die Ariadne-Serie ist eine fortdauernde Erforschung von Kordons eigener Beziehung zur Architektur, die der Einbeziehung dreidimensionaler Formen und der Ablehnung der Grenzen, die diese auferlegen, zunehmend und nachhaltig Ausdruck verleiht. Sie hat dieses Gefühl für automatisches Zeichnen mit tiefgreifender Analyse verbunden, ein tranceartiger Prozess, der auch ein Abarbeiten von persönlicher Geschichte, von Beziehungen und Begebenheiten darstellt. In die Bilder sind sehr persönliche und intime Zeichen verwoben: Zähne zum Beispiel oder die linkische Haltung eines Teenagers vor dem Spiegel.

Der Konflikt zwischen dem für Männer bzw. für Frauen typischen Umgang mit Raum, zwischen Erschaffung von Ordnung und der Freiheit des Instinkts, schafft eine Spannung, die sich im Fortschreiten der umfangreichen Serie zu intensivieren scheint. Weiblichkeit trotzt Architektur, und doch ist da zugleich der Anspruch einer anderen Art von Architektur, die von anderen Werten bestimmt ist. Nabelschnüre wachsen zu komplexen, kreisförmigen Labyrinthen, während da und dort Gebärmutterspiralen die klassischen Tempel, die im Hintergrund lauern, infiltrieren. Diese Ariadnen finden ihren Weg allein mit einer träumerischen Zuversicht, die suggeriert, dass diese gebauten Strukturen einfach ihre Spielwiese sind. Der rote Faden – ein spezielles Rot wie das der Nabelschnur – impliziert weibliche Weisheit als etwas Assoziatives und Verbindendes, ein Fluidum wie Tanz, ein feierlicher Durst nach einem Wissen, das die Fähigkeit, limitierende Strukturen zu schaffen, sowohl ablehnt als auch transzendiert. Es ist Ariadnes Sehnsucht nach Weisheit außerhalb der eng gesteckten Grenzen im Hause ihres Vaters, eine Art Querdenken, das es ihr ermöglicht, Beziehungen über die Grenzen von Dimension, Logik und Verstand hinweg zu kreieren und sie so aufzulösen.


1 Reinhard Suchier (Hg.), Ovids Metamorphosen, Stuttgart 1862, 8.Buch: Labyrinth. Theseus und Ariadne (S. 155–160).
2 Zitiert in Rodolphe Gasché: Georges Bataille. Phenomenology and Phantasmatology, Stanford University Press 2012, S. 151.
3 Beatriz Colomina: Architectureproduction, in Kester Rattenbury (Hg.), This is Not Architecture: Media Constructions, Routledge 2005, S. 207.





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