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In and out
C-Prints, 50 x 77 cm, 78 x 120 cm, 2000

Cibachrome Prints von hand- und computergenerierten Zeichnungen. Mit Rasierklinge bearbeitetes schwarzes Negativmaterial wurde eingescannt und mit cartoonartigen Strichzeichnungen überlagert.


Texte aus den Upanishaden, im Katalog in and out, Dofasco Gallery, Dundas, Ohio, Kanada, 2000 ...

In the beginning my dear,
this was Being alone,
one only without a second.
Some people say,
in the beginning this was non-being alone,
one only; without a second.
From that non-being,
being was produced.

Chandogya Upanisad VI.2.1.


Food when eaten becomes threefold;
its coarsest part becomes faeces;
its middle part flesh and
its subtlest part mind.

Water when drunk becomes threefold;
its coarsest part becomes urine;
its middle part blood,
its subtlest part breath of life.

Heat when eaten becomes threefold;
its coarsest part becomes bone;
its middle part marrow,
its subtlest part speech.

Thus my dear, mind consists of food,
breath of life consists of water
and speech consists of heat.

Chandogya Upanisad VI.5.


Memory surpasses space.

Chandogya Upanishad VI.2.1.





Otto Kapfinger, Metamorphosen, Eröffnungs-Rede zur Ausstellung Cosmotics, Galerie CIC, Wien 2002...

Die einzelnen Arbeiten von Renate Kordon wie auch die Entwicklungslinien in ihrem Œuvre stehen im Zeichen der Metamorphose. Ihre Kunst ist nicht festgelegt auf eine einzige Technik, auf einen markenträchtigen, engen Rahmen von Formen oder Sujets, sogar ihren Namen hat sie zweimal gewechselt. Festlegung, Berechenbarkeit, Produktkonstanz, geradliniges Image – das ist nicht ihre Sache. Im Gegenteil. Ihr künstlerisches Temperament basiert auf einer spontan aktiven Fantasie, auf einer Empfindung der Dinge und der Verhältnisse, in der nichts eindimensional festgelegt ist. Es ist ihre Sicht der Welt, in der alles und jedes auch etwas ganz anderes sein kann, als es im Moment zu sein scheint – im Sinne des ebenso paradoxen wie wahren Satzes: „In this world change is the only permanent thing.“

Metamorphose – als schockartige Verwandlung – ist ein Prinzip, in dem nur die Idee, nur die Vorstellung allein regiert. Das Stoffliche ist hier zweitrangig. Die Materialität der Form, das Stoffliche der Kunst-Idee ist letztlich beliebig, spielt fast keine Rolle. Sosehr das Materielle und die Regeln des Pragmatismus unseren Alltag bestimmen mögen, das Kunstprinzip der Metamorphose stellt die Dominanz des Stofflichen, des Materiellen, grundsätzlich und ständig in Frage. Die Metamorphose ist das von materiellen Bindungen befreite, schillernde Spiel der Imagination. Im Reich der Metamorphose ist, auf gut wienerisch gesagt, „nix wirklich fix“.Alles ist möglich, alles kann alles werden: Das Simpelste und Kleinste kann zum komplexen Universum aufblühen; die Banalität kann zur Überraschung mutieren, ein Kosmos zum Spielball für Kinder werden. Aus Chaos wird unentwegt Kosmos und umgekehrt – aus dem weiten, offenen Raum ohne Form (so die Urbedeutung des griechischen Wortes „Chaos“), aus diesem chaotischen Zustand wird „Kosmos“ – was im Griechischen zunächst nur Ordnung bedeutete, Form und Struktur – was auch gleichbedeutend war mit Schmuck, dem Geschmückten, aber auch mit der Harmonie des Weltalls. Aber selbst in der scheinbar ewigen Ordnung der Gestirne sind Wandel, allseitige Bewegung und Transformation das einzig Permanente: aus Staub und Energiezuständen werden Galaxien – die irgendwann wieder zu Staub zerfallen oder ins Unsichtbare implodieren. Analoges geschieht auch in den uns vertrauteren Räumen und Dimensionen. Aus winzigen, scheinbar formlosen Teilchen, aus Samen wachsen komplexe Formen, die sich entwickeln, verändern. Die so geordnete, formvollendete Materie, beseelt und komplex, zerfällt aber wieder, wird formlos, wird Humus, wird ganz andere Form, aus der neuerlich etwas anderes, etwas ganz anderes entstehen kann.

Renate Kordon hat der Serie ihrer kosmischen, blau-schwarzen Digitaldrucke ein Zitat aus den Upanishaden vorangestellt: Some people say, in the beginning this was non-being alone, one only; without a second; from that non-being, being was produced. Zu einem dieser Bilder schrieb sie als Titel: Flat entrance to the universe, zu einem anderen: The human mind is infinite, zu einem dritten: Memory surpasses space. Ein weiteres hat den Kommentar: Walking on my spaceship. Diese kurzen Sätze deuten in der Textebene eine durchgehende Qualität von Kordons Arbeit an: Witz und feine Ironie, so wie die Metamorphose aus Prinzip gegen das Pathos des Absoluten opponiert. Wie sind nun diese großformatigen, nachtblauen Digitalformate entstanden? Kordon hat dazu bereits belichtetes Farbfilmmaterial benutzt – eigentlich die Abfallteile, die Anfangs- und Endstücke von Farbfilmen. In diese Zehntelmillimeter dünnen Schwarzfilmstreifen hat sie mit Rasierklingen hineingeschabt, hineingekratzt, Aus dem äußerlich Formlosen, Farblosen, öffnete sich Schicht für Schicht ein Mikrokosmos an Formen und Farben: zuerst das tiefe Blau, dann Hellblau, dann Türkis, zuletzt das gleißende Weiß. Diese 24 x 36 mm messenden Miniaturen wurden dann gescannt, in den Computer eingespeist, dort mit cartoonartigen Lineamenten überlagert, dann zu Digitaldrucken vergrößert. Oder sie wurden gleich auf Fotopapier vergrößert und dann wurde erneut mit der Klinge in die Fotopapierschicht hineingekratzt, wurden aus dunklen Farbpartien hellere Formen und neue Farben aus der Materialtiefe herausgeholt. Zum Blau und Türkis kamen Rot und Gelb dazu.

Seit vielen Jahren hat sich Renate Kordon neben ihrer Kunst auch der meditativen Yoga-Praxis gewidmet. Yoga ist Arbeit an der Entwicklung unseres mentalen und seelischen Potenzials. Yoga ist der Weg der Entdeckung der innersten Schichten unseres Bewusstseins. Es ist das Eintauchen, das Hineinspüren in die scheinbaren Blindfelder unserer Existenz. Meditation öffnet die inneren Sinne für das, was wir mit unseren äußeren Sinnen – Augen, Ohren, Händen und dem polarisierenden Intellekt – normalerweise nicht wahrnehmen können. Es gibt eine Analogie zwischen dem Yoga und diesen nachtblauen Digitalprints. Auch sie unternehmen eine behutsame, spielerische und unvorhersehbare Reise in einen Mikro-Kosmos, eine Reise durch die Schwärze, durch die oberflächliche Blindheit des belichteten (verblendeten) Filmmaterials hindurch in dessen feinste und empfindlichste Tiefe – und in dieser Tiefe liegt gleichsam chaotisch und unstrukturiert ein ganzes Universum strahlender Farben und Formen verborgen – flat entrance to the universe. . . In einem scheinbaren Nichts erscheint plötzlich wieder alles und ganz Neues enthalten – a nothingness that contains everything. Reflexionen über die inneren Strukturen von Wahrnehmung, über die ständig nach Verwandlung, nach Veränderung drängenden Energien unterhalb äußerlich fixierter Realität – solche Reflexionen prägen Renate Kordons Experimente im Trickfilmbereich, aber auch die verschiedenen Facetten ihres zeichnerischen, malerischen und skulpturalen Œuvres: Es ist ein meist eher latent, manchmal auch offensiv kritisches Sichtbarmachen der Ambivalenz von Wirklichkeit mit den Mitteln und Phänomenen der Metamorphose, der grotesken Formbarkeit jeder Materialisierung: durch Umwandlung in Licht-Daten, durch Zerteilung der Zeit, durch Beschleunigung der Geschwindigkeit – durch Freilegen der inneren, der ganz anderen Schichten unter den Krusten realen Scheins.






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